Wer bin ich? – ewig grüsst die Pubertät

Im Rahmen der Veranstaltung Lunch am Puls sprach der Psychiater Alain Di Gallo über die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der heutigen Zeit.

«Man muss über Corona reden», so der Direktor der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel zu Beginn seines Referats über das Thema psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der heutigen Zeit. Viele Schlagzeilen habe es während und nach der Pandemie über die Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen gegeben. Di Gallo illustrierte den Zuhörerinnen und Zuhörern - Angestellte der Sozialdiakonie und weiteren Fachpersonen – anhand einer eingeblendeten Grafik, wie unterschiedlich junge und alte Menschen den Ausnahmezustand wahrnahmen. Während sich ältere Generationen vor dem Virus selbst fürchteten, war bei den Jungen die Angst vor Einsamkeit und Isolation am grössten.

«Kinder sind Seismographen, sie reagieren auf Unsicherheiten von Eltern und Lehrkräften», so Di Gallo. Tatsächlich hätten die psychischen Krankheiten durch Corona bei Kindern und Jugendlichen deutlich zugenommen, insbesondere Angststörungen und Depressionen. Di Gallo präsentierte eine eindrückliche Zeichnung eines achtjährigen Mädchens, das sein Dilemma illustrierte: Sich selbst und den jüngeren Bruder vor dem Virus schützen.

Grosse Herausforderungen

Doch auch unabhängig von Corona leben wir in einer komplizierten Zeit: Klimawandel, Krieg und neue Medien erwähnte Di Gallo als die grössten Herausforderungen. «Wir spielen heute mehr denn je mit unseren Identitäten, was manchen Jungen schwerfällt». Die ewige Frage der Adoleszenz bleibe bestehen: Wer bin ich? Di Gallo nannte den Fall eines Gamers, der keine Lehrstelle fand, als Gamer in der virtuellen Welt aber ein Held war.

Schliesslich ging Di Gallo auf den Begriff «Burn Out» ein. Fachleute würden diesen kaum benutzen, eher von Angststörung oder Depression sprechen. Er verwies auf einen fragwürdigen Test, der im Internet kursiert und bei Kindern rasch einmal ein ausgebrannt sein diagnostiziert. Werden wir immer empfindlicher oder nehmen Pathologien zu? Tatsächlich bestätige eine Umfrage bei 11-15-Jährigen, dass Müdigkeit und Angst kontinuierlich stärker empfunden werden. Der grösste Stressfaktor stellten Schule, Ausbildung, Beruf und der Zeitmangel dar. «Jugendliche sind sehr leistungsorientiert.» Fast die Hälfte fürchte sich vor der beruflichen Zukunft. Er spreche heute über Probleme, so Di Gallo. Gleichzeitig sei es ihm wichtig zu betonen: «Die meisten Jugendlichen kommen  mit den Herausforderungen zurecht.» Nur bei rund 20 % tauche während einem Jahr eine Krankheit auf und längst nicht alle dieser Gruppe seien behandlungsbedürftig.

Die bessere Diagnostik und die höhere Sensibilität führten zu mehr Aufmerksamkeit für psychisches Leiden, was positiv zu bewerten sei. «Angststörungen sind das häufigste Problem bei Jugendlichen.» Das durchlässige Bildungssystem erlaube es nicht nur aufzusteigen, sondern berge auch das Risiko zu fallen, ein Umstand, der vielen Sorgen bereite. Die sozialen Medien seien Herausforderung und Chance zugleich. Sie verursachten bei manchen Stress oder Schlafstörungen und erlaubten es anderen überhaupt Zugang zu Bildung zu haben.

Vertrauen und Aufmerksamkeit sieht Di Gallo als Schlüsselbegriffe im Umgang mit Jugendlichen Nöten. Angemessene Bildung und sichere Bindung wirkten präventiv. «Jugendliche wollen gefördert und gefordert werden», so Di Gallo abschliessend. Das müsse aber in angemessener Balance erfolgen. Sie seien nicht grundsätzlich psychisch kränker, sondern würden schneller symptomatisch. «In unserer Gesellschaft, fällt man rasch auf, wenn man nicht effizient ist.»

Text: Helen Lagger
Bild: Matthias Hunziker

Referent Alain Di Gallo

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Lunch am Puls bietet Angestellten Sozialdiakonie und weiteren interessierten Fachpersonen einen solchen Austausch. Die Treffen finden über Mittag (inkl. kleinem Lunch) statt. Nach den Kurzreferaten bleibt Zeit für Fragen und Austausch.

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