Wir fragten David Kuratle, Paar- und Familientherapeut bei der Beratungsstelle Ehe Partnerschaft Familie in Bern

Was hat der Lockdown an Ihrer Arbeit als Therapeut verändert?

Wir mussten kurzfristig umstellen auf Online- und Telefonberatungen, da unsere Räume zu klein waren um die Distanzregeln einhalten zu können. Das hat sehr gut geklappt. Ein paar bisherige Klienten wollten aussetzen für eine Weile, und es haben sich auch etwas weniger Leute neu angemeldet. Aber jene, die geblieben sind, wurden intensiver und auch mit höherer Frequenz begleitet.

Hat sich der Inhalt der Beratungen geändert?

Ja. Es ging jetzt vor allem darum, wie der neue Alltag zu bewältigen ist mit Homeoffice, Kinderbetreuung, Lehrperson sein. Dazu die Unsicherheit und Angst. Die Thematik war ähnlich, wie wenn beide plötzlich pensioniert werden: Man muss den Alltag neu organisieren, die Rollen neu definieren und verteilen, und das oft in beengten Raumverhältnissen. Letztlich ging es um zwei Dinge: ein Coaching, wie der Alltag zu bewältigen ist. Und eine Würdigung dessen, was die Familien alles leisteten unter diesen Bedingungen. Es ging auch darum, zu vermitteln, dass die Probleme absolut normal sind und es anderen genauso geht.

Haben sich die Inhalte nach dem Lockdown verändert?

Sie haben sich langsam wieder normalisiert, sind jetzt wieder wie vorher. Es gibt zwar noch Corona, aber der Umgang damit ist anders geworden.

Gibt es Erkenntnisse aus dem, was geschehen ist?

Online verlangsamt das Gespräch. Man kann nicht einfach dreinreden, muss warten, bis der andere ausgeredet hat. Diese Entschleunigung habe ich als ausgesprochen positiv wahrgenommen. Positiv war auch, dass es plötzlich ein gemeinsames Thema gab. Alle waren betroffen, alle hatten Angst, waren wütend und unsicher. Das war verbindend.

Die Nachteile waren, dass man online auf zwei Sinne reduziert ist, auf Auge und Ohr. Das erschwert die Wahrnehmung emotionaler Reaktionen. Anfangs war es auch schwierig, dass die Rollen vertauscht waren. Normalerweise kommen die Leute zu uns, sie sind Gast, wir die Gastgeber. Online war es jetzt plötzlich so, dass wir Gast bei den Leuten zuhause waren, aber trotzdem das Gespräch führen mussten. Das war zum Teil irritierend. Ein weiterer Nachteil von Online-Gesprächen ist, dass alle kreativen Methoden wegfallen. Man kann nicht im Raum herumgehen, kann keine Aufstellung machen.

Verändern diese Erfahrungen Ihre Arbeit?

Ja, wir bieten jetzt Online-Gespräche offiziell an. Es sind zwar nur wenige Leute, die das regelmässig in Anspruch nehmen, aber für einzelne Sitzungen zwischendurch ist es praktisch. Wir führen auch vermehrt Outdoor-Gespräche, also walk and talk. Wir gehen mit den Leuten hinaus, treffen uns mit den Klienten draussen in der Stadt oder im Dählhölzli.

Was ist das Wichtigste, das Sie mitnehmen?

Wir wissen jetzt, dass es möglich ist, auch unter solchen Umständen zu arbeiten. Wir können genauso präsent sein. Die meisten Leute sind technisch ausgerüstet für Online-Sitzungen.

David Kuratle