Vom Umgang mit Krisen

Pandemie, Klimawandel, Krieg – wie können wir als Menschen und als Kirche angemessen auf akute Krisen reagieren? Christoph Schwarz, Theologe und Rektor der Höheren Fachschule TDS Aarau, gab den Teilnehmenden der diesjährigen Bernischen Diakoniekonferenz ein Set von Handlungsoptionen und Anregungen mit auf den Weg.

Synodalrätin Ursula Marti überbrachte die Grüsse der Synode und bedankte sich bei den Kirchgemeinderätinnen und Kirchgemeinderäten für ihre wertvolle Arbeit. Sie wies darauf hin, dass es auch in unserem Land Menschen gibt, die Hilfe brauchen. Menschen in Armut, Kranke, Einsame, Menschen in Sinnkrisen und traumatisierte Flüchtlinge. Es sei Aufgabe der Kirche, sich um diese Menschen zu kümmern. Die Zukunft zwischenmenschlicher Hilfe seien Sorgende Gemeinschaften, die auch in akuten Krisen tragen. Die Diakonie befinde sich mitten in der Transformationsphase dazu.

Reaktionsmuster

Jeder Mensch habe eine persönliche Art, auf Stress zu reagieren, sagte Christoph Schwarz in seinem Referat. Und Krisen, die uns unerwartet überrollen, sind Stress. Man unterscheide drei verschiedene persönliche Reaktionsmuster auf akuten Stress: Flucht (flight), Kampf (fight) und Erstarren (freeze). Schwarz zeigte anhand der Pandemie auf, wie solche Muster konkret aussehen können. Die einen flüchten sich in Süchte, konsumieren Serien, Pornografie, gamen oder stürzen sich in Aufgaben. Die Kämpfer machen Krawall, gehen an Demonstrationen und sind gereizt. Die Erstarrten fallen in Depression und Niedergeschlagenheit, bekommen oft auch psychische Probleme.

Hinschauen

Nach dieser ersten Phase der Reaktion gilt es, so Schwarz, hinzuschauen (face). Dazu sollte man nicht nur sein eigenes primäres Reaktionsmuster erkennen, sondern aus diesem auch aussteigen und aktiv werden wollen.

Schwarz stellte ein Handlungsmodell vor, das es erlaubt, mit Krisen sowohl auf persönlicher als auch auf institutioneller Ebene umzugehen. Das Modell sieht als erste Voraussetzung für ein angemessenes Handeln die Reflexion seiner selbst als Person und als Trägerin/Träger einer institutionellen Verantwortung.

Auftrag und Grundhaltung

Was treibt mich an, das zu tun, was ich tue? Warum bin ich im Kirchgemeinderat, arbeite ich in der Diakonie, warum will ich helfen? Schwarz verteilte ein Blatt mit verschiedenen Haltungen und Motivationen, die einer Aufgabe in der Kirche zugrunde liegen könnten. Er empfahl den Anwesenden, im Kirchgemeinderat über dieses Thema zu reden. Die innere Grundhaltung ist der Boden, auf dem man steht. Darauf wächst die Antwort auf die nächste Frage im Hinblick auf eine Krisensituation: Was genau ist mein Auftrag? Persönlich und/oder in meiner Funktion innerhalb der Kirche.

Analyse und Planung

«Unsere Grundhaltung und unser Auftrag sind dafür zuständig, wie und was wir wahrnehmen», postulierte Schwarz. Denn der nächste Schritt ist, die Krisensituation anzuschauen, wahrzunehmen und zu analysieren. Was passiert da? Welche Menschen sind betroffen und inwiefern? Was brauchen sie? Schwarz warnte davor, schnell und unüberlegt zu handeln: «Auch wenn es dringlich ist: immer sorgfältig bleiben, sich Zeit lassen, das Wahrgenommene reflektieren, seine Kompetenz einsetzen.» Um die richtigen Massnahmen planen zu können, sei es sinnvoll sich zu fragen, ob das wirklich eine Aufgabe für die Diakonie der Kirche ist, oder ob nicht andere dasselbe schon tun. Vielleicht geht es darum, sich zu vernetzen, statt primär selber einzugreifen.

Nach einer Phase des Handelns, sollte diese ausgewertet werden. Was hat geklappt? Was war suboptimal? Welche Dinge behalten wir bei? Welche bauen wir aus, verbessern wir? Was lassen wir in Zukunft weg? Jede Krise ist eine Chance besser, agiler und effektiver zu werden.

Was die Pandemie uns gelehrt hat

Was hat die Diakonie konkret aus der Pandemie gelernt? Das, was in der Kirche die häufigste Arbeitsform sei, nämlich in Gruppen zu arbeiten, sei mit dem Covid-Lockdown von einem Tag auf den anderen weggefallen, sagte Schwarz und nahm Bezug auf die Studie «Diakonie in Zeiten von Corona» von Diakonie Schweiz. Dies führte nach und nach zu neuen, flexiblen Arbeitsmethoden, zur Nutzung technischer Möglichkeiten und – nicht zuletzt - zu schnellen und unkomplizierten Entscheidungswegen, auch ausserhalb der üblichen Prozesse. Gemeinwesenarbeit, Netzwerke und Kooperationen sind wichtig geworden. Neue Kontakte sind entstanden. Vieles davon könne man möglicherweise beibehalten, meinte Schwarz. Auf jeden Fall sollte das erworbene Wissen und das methodische Rüstzeug in den Kirchgemeinden sichergestellt werden. Wer weiss, wann die nächste Krise vor der Tür steht.

Kein Weg zurück

Wer von A nach B will, muss A (irgendwann, notgedrungen) loslassen, sang Bruno Bieri, der den Anlass mit Hang und Alphorn musikalisch begleitete. Eine Feststellung, die in der dem Referat anschliessenden Diskussion in ihrer ganzen Tragweite aufschien. Die Kirche verändert sich. Es wird schwierig, Freiwillige zu finden. Ehemalige kommen nicht einfach zurück, haben vielleicht andere erfüllende Tätigkeiten gefunden. Neue Freiwillige sind schwer zu rekrutieren. Die Kirche hat in der Pandemie überproportional Mitglieder verloren und verliert sie noch immer. Die Kirche ist unterwegs nach B, auch wenn sich dieses B noch nicht so klar deklariert. Vielleicht ist die Kirche der Zukunft eine freudevolle Sorgende Gemeinschaft.

Text: Susanne Thomann
Fotos: Tom Kaffka

Das Handlungsmodell

  1. Was ist mein Auftrag?
    Was treibt mich an? (Grundhaltung, Habitus)
  2. Was nehme ich wahr?
    Analysieren
  3. Reflektieren und einordnen
    Planen
  4. Handeln
  5. Was hat geklappt, was nicht? (evaluieren)
    Was lernen wir daraus?

 

Weitere Informationen

Aus Krisen lernen
TDS Höhere Fachschule für Theologie, Diakonie, Soziales
Studie Diakonie in Zeiten von Corona von Diakonie Schweiz 

 

Impressionen von der Bernischen Diakoniekonferenz 2022