Gut sterben - wie geht das?

Vieles in unserem Leben ist planbar. Und nichts ist so sicher wie der der Tod am Ende unserer Reise. Warum planen wir ihn nicht besser? Sterben kann man zwar nicht kontrollieren, aber man kann sich darauf vorbereiten. Das Thema der diesjährigen Bernischen Diakoniekonferenz füllte den Saal im Kirchgemeindehaus Frieden bis zum letzten Platz.

Sterben geht uns alle an. Zuerst sind wir als Angehörige von Sterbenden damit konfrontiert, dann stehen wir selber an der Schwelle. Ein natürlicher Vorgang, vergleichbar mit der Geburt, hielt Synodalrätin Claudia Hubacher bei ihrer Begrüssung fest. Aber anders als auf die Geburt eines Kindes, bereiten wir uns auf das Sterben kaum vor. Dabei wissen wir sicher, dass wir am Ende unseres Lebens in den Sterbeprozess eintreten werden.

Wirf deine Angst in die Luft

Pascal Mösli, Beauftragter für Spezialseelsorge und Palliative Care, ergänzte das Thema um die spirituelle Ebene mit der Aussage von Carlos Castaneda, dass der Tod von Geburt an als Berater auf unserer linken Schulter sitzt. Wir leben mit ihm, und das Bewusstsein unserer Endlichkeit lenkt unsere Entscheidungen – oder sollte dies zumindest tun. Musik und ein Gedicht von Rose Ausländer (Wirf deine Angst in die Luft), stimmten die Anwesenden auf den Nachmittag ein.

Prof. Steffen Eychmüller, Leiter Palliativzentrum Inselspital Bern, ging in seinem Referat ausdrücklich darauf ein, dass die Geburt – früher ein tödliches Risiko für Mutter und Kind – heute sowohl medizinisch als auch organisatorisch, psychologisch und gesellschaftlich durchorganisiert und abgesichert ist. Väter und Mütter bereiten sich intensiv vor und werden freigestellt, um den neuen Erdenbürger ins Leben einzuführen. Niemand aber wird freigestellt, um sterbende Eltern aus dem Leben  zu begleiten.

Wie geht sterben?

„Wir leben in einer so schnellen Welt, dass wir in der Hetze noch das Lebensende verpassen“, postulierte Eychmüller in seiner direkten Art. Lebensende hat ein schlechtes Image in unserer Gesellschaft, in der die produktive Leistung zählt. Wir kümmern uns nicht ums Sterben und wissen nichts darüber, ausser dass es unausweichlich ist. Das macht Angst. Informiert sein darüber, was beim Sterben geschieht, und darüber, wie wir unser Sterben organisieren können, das würde einen grossen Teil der Angst nehmen.

Die meisten Menschen hätten vor allem Angst vor Schmerzen, erzählte Eychmüller aus seinem Alltag. Aber Schmerzen seien in den letzten Lebenstagen sehr selten. Die Medizin habe die Schmerzbehandlung gut im Griff. Was fehle, sei menschliche Wärme und Zuwendung. Wichtig sei, den Sterbevorgang als zutiefst menschlichen und normalen Vorgang zu akzeptieren und Stress zu reduzieren.

Wo ist zuhause?

Zuhause zu sterben sei der Wunsch vieler Menschen, sagte Eychmüller und liess gleichzeitig durchblicken, dass dies in Wirklichkeit selten der Fall ist. Die meisten Menschen sterben im Krankenhaus oder in einer Altersinstitution. Er plädierte für eine systematische Sterbeplanung, die Steuerungsmöglichkeiten zulässt. So lange wie möglich eine Betreuung zuhause mit Freunden, Angehörigen, Arzt, Spitex und Begleitperson – zum Beispiel eine „Sterbeamme“, die weiss, was zu tun ist. Die auch entscheiden kann, wann es besser ist, ins Krankenhaus zu fahren oder den Arzt zu rufen, die den Angehörigen und dem Sterbenden Sicherheit gibt. Was in diesem Setting heute noch fehlt, sind Begleitpersonen, „Sterbeammen“,  und im Krankenhaus die sterbefreundliche Umgebung. Und es fehlen im Kanton Bern Hospize, die diese Aufgabe übernehmen könnten.

Wo ansetzen? Eychmüller skizzierte verschiedene Ebenen, um eine neue Sterbekultur zu etablieren: Informieren, vernetzen, übers Sterben reden. Er stellte verschiedene bereits existierende Angebote vor, deren Ziel es ist, Sterben als normalen Vorgang verstehbar und handhabbar zu machen. Er forderte aber auch, dass Sterben politisch als Querschnittsaufgabe definiert und als solche (mit)finanziert wird. Und es gelte -  Eychmüllers Schlussvotum - gesunden Menschenverstand und menschliche Wärme in die palliative Medizin zu implementieren, Dosis unbegrenzt.

Sterben als ins Leben eingebundener Prozess

Pascal Mösli bezog sich in seinem Referat auf die Pionierin der Palliativmedizin, Cicely Saunders, für die die spirituelle Dimension bedeutete, dass der sterbende Mensch seinen persönlichen Weg gehen kann. Er definierte Sterben im Anschluss an den englischen Seelsorger Gwen London als „spirituellen Prozess mit medizinischen Implikationen“. Er betonte, dass die Kirche schon immer Menschen bei Übergängen begleitet habe, dies sei die Kernaufgabe der Kirche. In einer dialogischen Kirche geht es laut Mösli darum, den Menschen zuzuhören und zu verstehen, was sie brauchen. Da sein für sie. Sie begleiten. Sicherheit und Wärme geben. Beim Sterbeprozess gilt dies sowohl für den Sterbenden als auch für die Angehörigen, die oft erst nach dem Tod durch einen Loslöse- und Trauerprozess gehen.

Diakonische Begleitung von Sterbenden macht nur dann Sinn, wenn sie in ein Netzwerk eingebunden ist. Die spirituelle Versorgung muss genauso sichergestellt sein wie die medizinische und pflegerische. Ein Paket, das Organisation und Koordination braucht. Die Zusammenarbeit mit der katholischen und der christkatholischen Kirche sowie der Spitex funktioniert bereits und wird derzeit ausgebaut. Und in Bern sind zwei Hospize geplant, eines für Kinder, eines für Erwachsene.

Die Praxis an der Basis

Aber: das Netzwerk muss an der Basis funktionieren, in der Gemeinde selber. Da, wo man sich kennt. Spitex und Hausärzte gewährleisten dies auf pflegerischer und medizinischer Ebene bereits. Dennoch fehlt oft die Person, die alles leitet und begleitet, die einfach da ist, gesunden Menschenverstand und menschliche Wärme einbringt. Und das, genau das, ist die Aufgabe der Diakonie. Es gibt viele, die sich hier bereits einsetzen und wichtige Arbeit leisten. Aber es sind noch zu wenige. Sterben ist noch immer tabuisiert, das Thema zu wenig selbstverständlich.

Wie konkret vorgehen? An sechs verschiedenen „Marktständen“ zeigten nach den beiden Referaten verschiedene Gruppen ihre konkreten Angebote, wie sie in jeder Kirchgemeinde realisiert werden können. Sie wurden rege besucht, die Möglichkeiten intensiv diskutiert. Vor allem der Letzte-Hilfe-Kurs stiess auf grosses Interesse. Wissen hilft immer. Nichts macht mehr Stress als Hilflosigkeit. Packen wir’s an!

Text: Susanne Thomann
Fotos: Tom Kaffka

 

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Die Marktstände

Letzte Hilfe-Kurs: 1-Tages-Kurs, entstanden aus der Zusammenarbeit von Spitex und dem Palliativzentrum der Insel

Freiwilligen-Projekte in der Palliative Care: ein Beispiel, wie sich eine Gemeinde kompetente Sterbebegleitung organisiert

Demenzsensible Kirchgemeinden: Mit demenzkrankten Menschen respektvoll umgehen, und was es dazu braucht

Sozialdiakonie in der Palliative Care: ein erster Aufgabenkatalog für Sozialdiakoninnen und Sozialdiakone

Räume schaffen – eine Installation für Kirchgemeinden:  ein visuelles Erlebnis, das Sinnräume öffnet zwischen Licht und Dunkel

Beratung Leben & Sterben: eine Anlaufstelle, an der sich Menschen über das Sterben und alles, was dazugehört, beraten lassen können

Informationen zu den 6 Projekten

Kontakt: Pascal Mösli, info(at)spezialseelsorgebern.ch

 

Weitere Informationen

Referat von Prof. Steffen Eychmüller (PDF)
Referat von Pascal Mösli (PDF)
Palliativzentrum Inselspital
Palliative Care auf diakonierefbejuso.ch
Lebensende als Stadtgespräch in Bern
Sens Plan, Planungshilfe für das Lebensende

 

Noch bist du da

Noch bist du da
wirf deine Angst in die Luft
bald ist deine Zeit um
bald wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Rose Ausländer