Wie ein glückliches Leben gelingt

Glücklich sein – was braucht es dazu? Ein einfaches Patentrezept hatte auch Timur Steffen vom Psychiatriezentrum Münsingen PZM AG nicht. Der Referent zeigte anlässlich Lunch am Puls aber erstaunliche Fakten auf und gab den sozialdiakonisch arbeitenden Anwesenden ein Set an praktischen Tipps mit auf den Weg.

Sind Sie glücklich? Die Umfrage im Saal ergab ein statistisch typisches Resultat: rund 75% der Menschen verorten sich in einer 10-teiligen Glücksskala oberhalb des Mittelwertes, 57% bezeichnen sich sogar als glücklich bis sehr glücklich (Werte 8-10).

Explizit unglücklich sind laut der Umfrageresultate der Bertelsmann Studie von 2008, die Steffen zeigte, nur gerade 5% der Befragten. Allerdings ist dieses Glücksgefühl nicht gleichmässig über die Welt verteilt, wie die Karte des World Happiness Reports von 2017 belegt: während sich die Menschen in Amerika, Australien, Westeuropa, Russland und China glücklich fühlen, in der Schweiz sogar sehr glücklich, ist dies in Afrika und unter anderem in Indien, Syrien, Irak, Iran und Afghanistan nicht der Fall. Die Karte sei allerdings mit Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen, warnte Steffen, denn die Definition von Glück sei immer auch eine Frage des kulturell geprägten Wertesystems.

Was macht glücklich?

Diverse Studien belegen laut Steffen, dass enge soziale Beziehungen, positive Aktivitäten, Hobbies und Natur das Wohlbefinden steigern. In diesem Zusammenhang überraschte eine Statistik von 2009: An erster Stelle der Glücklichmacher stehen Freunde und Gespräche, gefolgt von Sport und Musik. Familie, sinnliche Genüsse, Kultur und Spiritualität nehmen deutlich geringere Priorität ein. So ganz einfach ist es eben doch nicht.

Steffen unterschied zwischen dem subjektiven Wohlbefinden und den objektiven Lebensumständen, machte Glück zusätzlich von der Erlebnisfähigkeit und der Verhaltenskompetenz abhängig.

Eine Frage der Wertung

Bei Beratungen sei wesentlich, die objektive Lebenswelt des Gegenübers zu erfassen, so Steffen: Finanzielle Situation, soziales Beziehungsnetz, psychische und physische Energie, Umwelt, Gesundheit, vorhandene Infrastruktur. Auf diese Weise liessen sich vorhandene oder fehlende Handlungsressourcen feststellen. Die subjektive Bewertung der Situation und damit die Definition von Lebensqualität sei allerdings immer eine Frage des Wertesystems und der persönlichen Haltung des Individuums. Der Mensch selber bestimmt, was seinem Leben Qualität gibt. Grundsätzlich kann nur jener glücklich sein, der sich selber für glücklich hält.

Wie sehr Fremd- und Selbstbeurteilung differieren können, belegte Steffen mit einem Beispiel aus der Praxis: Der mittlere Tagesumsatz eines Bankers sinkt von 5 auf 3 Millionen Franken. Er versinkt in einer Depression.

Wenig Glück im Alter

Im Alter, etwa ab 60, nehmen Angst und Trauer deutlich zu, hingegen gehen Lebensfreude und Genuss, aber auch Wut und Ärger zurück. Ab 80 können nur noch rund 30% der Menschen regelmässig geniessen, fast 40% finden keinen Genuss mehr. Geht man davon aus, dass Körper und Geist nachlassen, Freunde wegsterben und der eigene Tod vor Augen steht, eher wenig verwunderlich.

Positive Psychologie

Nimmt ein Mensch Beratung in Anspruch, geht es in der Regel um Leiden. Traditionell sei unser System darauf ausgerichtet, Leiden zu mindern und Genesung herbeizuführen, sagte Steffen. Die positive Psychologie geht von einem anderen Ansatz aus: hier geht es darum, zu erkennen, was Freude macht, was guttut und das Wohlbefinden stützt. Die nachhaltigere Lösung, davon war Steffen überzeugt – und er stellte auch gleich ein Set an Übungen zur Verfügung, die das eigene Wohlbefinden fördern (siehe Handout Referat zum Herunterladen). Heiterkeit und Freude, gute Beziehungen, seine Stärken erkennen und leben, dankbar sein.

Leben in der Blue Zone

Glückliche Menschen leben länger, das zeigen die «Blue Zones», 5 Gebiete auf der Welt, in denen die Menschen deutlich älter werden als anderswo und deutlich glücklicher sind. Was auffällt: Alle diese Zonen liegen am Meer. Sicher kein Zufall. Das Rezept dieser Menschen: Mediterrane Ernährung (95% pflanzlich), Bewegung, Zeit, Ruhe, Familie über alles, Glaube. Mensch-Tier-Beziehungen fördern die Gesundheit. Und religiöse Menschen werden älter und leben glücklicher. Am ältesten werden Nonnen und Mönche.

Geld macht glücklich. Aber nur jene, die vorher keines oder wenig davon hatten. Luxus hingegen vermindert die Fähigkeit, die kleinen Freuden des Alltags zu geniessen, das belegen die Statistiken. Ab einem Jahreseinkommen von rund CHF 60‘000 ist der Glücks-Effekt vorbei, sagte Steffen. Am Geld allein hängt das Glück also nicht.

Timur Steffen ist Psychologe lic. phil., verantwortlich für die Beratungsstelle Stepped Care Kanton Bern des Psychiatriezentrums Münsingen PZM AG und im Vorstand des Berner Bündnisses gegen Depression.

 

Text: Susanne Thomann
Foto: Matthias Hunziker

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