Ein Monster unter meinem Bett

Im Rahmen von Lunch am Puls hielt die Fachpsychologin Carmen Adornetto ihr Referat «Kinderängste – KEIN Kinderkram» und verwies dabei auf die Wichtigkeit, früh zu handeln.

«Ängste sind mein Steckenpferd», sagt Carmen Adornetto, Fachpsychologin mit langer Erfahrung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Rahmen von Lunch Am Puls hielt sie ihr Referat «Kinderängste – KEIN Kinderkram», wobei sie sowohl Ängste charakterisierte sowie den Umgang damit thematisierte. Angst sei per se nichts Schlechtes, stellte sie klar. «Der Mensch kennt die Angst seit der Steinzeit.» Angst werde erst zum Problem, wenn sie pathologisch werde, es keine reale Angstsituation gäbe und ein Leidensdruck oder eine Beeinträchtigung entstehe. Dann könne ein Teufelskreis der Angst entstehen.

Adornetto sprach schliesslich über alterstypische Ängste. Die ersten Ängste zeigten sich bei Kindern mit dem sogenannten Fremdeln, der Trennungsangst oder der Angst vor Phantasiegestalten, z.B. die Vorstellung vom Monster unter dem Bett. Später, im Kindergartenalter, können vermehrt spezifische Ängste auftauchen, wie z.B. eine Phobie vor Hunden oder Spritzen.

Was tun, wenn das Kind nicht in den Kindergarten gehen will? «Wie merke ich, dass es sich um eine reale Angst und nicht einfach um Demotivation handelt?», wollte eine Zuhörerin wissen. Eine reale Angst sei keine Phase, sondern dauere längere Zeit an, so die Expertin. Ernst nehmen müsse man das Kind aber in jedem Fall. Falsch wäre eine Vermeidungsstrategie. Also: Besser in den Kindergarten begleiten, statt gar nicht hingehen. Häufige Symptome bei Kindern, die Angst hätten, seien Bauch- und Kopfweh. «Viele Kinder sitzen in Klassen mit Angst und werden nicht wahrgenommen», so Adornetto. Ängste früh zu erkennen und dementsprechend zu handeln, sei wichtig.

Kinder sind Symptomträger

Je älter Kinder werden, desto wichtiger wird für sie der Vergleich mit den anderen, der Wettbewerb. Angst vor schlechten Leistungen oder Ablehnung durch Peers sind im Alter von 12-18 häufige Quellen der Angst. «Was passiert, wenn eine Angststörung nicht therapiert wird?», wollte jemand wissen. «Angststörungen wachsen nicht aus», so die Expertin. So können z.B. Kinder mit starken Trennungsängsten später Panikattacken entwickeln. Doch nicht jedes Kind brauche eine Therapie. Damit es sich um eine Angststörung handle, müsse diese eine gewisse Zeit lang andauern. Oft übernähmen Kinder die Ängste der Eltern. «Kinder sind Symptomträger.»

«Wie soll ich reagieren, wenn das Kind Angst vor Hunden hat, weil es tatsächlich von einem gebissen wurde?», wollte jemand wissen. Auch hier ginge es darum ein Vermeidungsverhalten zu verhindern. Nur so kann das Kind die Erfahrung machen, dass nicht jeder Hund beisst und seine Angst überwinden. Um die Angst eines Kindes zu lindern, gelte es «die passende Türe» zu finden. Adornetto illustrierte das Vorgehen anhand eines Beispiels aus ihrem Alltag als Fachpsychologin. Ein Kind habe Angst gehabt aus dem Bett zu steigen, weil angeblich ein Dinosaurier unter dem Bett wohnte. Der Dinosaurier wiederum hatte in der Vorstellung des Kindes Angst vor Spinnen. Die Psychologin riet dem Kind eine Gummispinne unter das Bett zu werfen und anschliessend aufzustehen. Das gelang. «Das Kind erlangte die Kontrolle zurück und konnte Chef über seine Angst werden.»

Die Kunst des Entkatastrophisierens

Auch der Fall eines zehnjährigen Knaben, der Angst hatte seine Mutter könnte verunfallen, schilderte Adornetto. «Die Mutter arbeitete im Notfall und konnte nicht immer ans Handy gehen, wenn ihr Sohn anrief.» Es sei darum gegangen, die Situation zu entkatastrophisieren. «Man kann die Angst nicht wegnehmen, aber die Situation anders bewerten.» Kinder mit einer generalisierten Angststörung machen sich um vieles Sorgen, das Weltgeschehen, Krieg, die eigene Gesundheit – alles wird zur Bedrohung.

11 Prozent der Kinder und Jugendlichen seien von einer Angststörung betroffen. Das heisst: In einer Klasse sitzen im Durschnitt zwei Kinder mit einer pathologischen Angst. Haben Kinder heute mehr Angst als früher? «Es ist anders und wird anders wahrgenommen», relativierte Adornetto. Sie habe allerdings in der Klinik festgestellt, dass es mehr akute Anmeldungen gebe. Hilfsmittel in Form von Glücksbringern oder Heldenfiguren seien erlaubt, um aus der Angst wieder rauszufinden. Die Psychologin verglich das Bewältigen der Angst mit Bergsteigen und empfahl zum Schluss das Kinderbuch «Selina, Pumpernickel und die Katze Flora», das Mut machen könne.

Text: Helen Lagger
Bild: Matthias Hunziker