«Sinnhaftigkeit ist Hirntraining»
Die Neurowissenschaftlerin Barbara Studer referierte im Rahmen der Veranstaltung «Lunch am Puls» über das Gehirn, Religiosität und was uns sonst guttut.
Barbara Studer hat eine Geige und ein Gehirn aus Plastik dabei. Die Neurowissenschaftlerin ist bereits zum zweiten Mal Gast in der Reihe «Lunch am Puls». Die Gründerin eines Startups (www.hirncoach.ch) sprach bei ihrem ersten Referat unter anderem über den Einfluss von Dankbarkeit auf unser Gehirn. Auch bei ihrem zweiten Referat kommt sie rasch auf das Gehirn und seine Funktionen zu sprechen. «Wir sollten alle Cheerleader für unser Gehirn sein», so Studer. Damit meine sie, dass man sich beispielsweise bei einem Versehen oder Fehler, nicht selbst verurteilen sollte, um das Gehirn in Balance zu halten. Besser? Darüber lachen.
«Ich spreche gerne über peinliche Sachen.» So habe sie letzthin aus Versehen Kaffee über die weissen Turnschuhe eines Bekannten gegossen. Das gemeinsame Lachen darüber habe die Situation rasch entschärft. Das Gehirn könne nicht immer die gleiche Performance abliefern. Es funktioniere wie ein Rauchmelder. Die so genannte Amygdala werde bei Alarmstufe Rot aktiviert. Bei ängstlichen Menschen könne man eine Vergrösserung dieses «Angstzentrums» im Gehirn feststellen.
Die sich selbst erfüllende Prophezeiung «ich vergesse wieder etwas» präge unsere Realität. Deshalb gilt es, wohlwollend mit sich selbst zu kommunizieren. Zum Beispiel im Sinne von «hey, was muss heute gemacht werden?». Eine grosszügige Grundhaltung mache das Hirn freier, etwas zu leisten, beziehungsweise könne der Kortex besser arbeiten. Das gelte auch für ältere Menschen mit Angst vor Gedächtnisverlust. Einiges nehme im Alter zwar ab, dafür gewännen viele an emotionaler Stabilität und Weisheit. Es gilt, sich zu entwickeln, statt den Fokus auf Defizite zu legen.
Freude als Ressource
Auch über Arbeitszufriedenheit präsentiert Studer die neusten Erkenntnisse. Das beste für das Gehirn sei es, wenn man gefordert, aber nicht überlastet sei und dabei Sinnhaftigkeit empfinde. Was für das eine Gehirn Stress bedeute, könne für ein anderes gerade richtig sein. «Menschen, die Sinnhaftigkeit empfinden, haben Kraft», so Studer. Die Amygdala bleibe ruhig, das Belohnungssystem werde aktiviert, Stressiges könne zu etwas Motivierendem werden. Es brauche Kohärenz zwischen dem, was man fühle und mache, sonst generierten sich unbewusste Widerstände.
Warum mache ich das? Was ist mein Beitrag? Diese Fragen seien wichtig. Die Pension als Ruhestand zu verstehen, findet Studer problematisch. Besser sei es, sich zu engagieren, denn das Hirn wolle Aktivierung. «Sinnhaftigkeit ist Hirntraining.» Auch Spiritualität habe einen positiven Effekt. Studien zeigten die Wirkung von Religiosität, die mit einer grösseren Lebenszufriedenheit, stabileren Beziehungen und weniger Depressionen einherginge.
Religion als Jungbrunnen
«Die Verbindung mit etwas Grösserem hat etwas Schützendes für die Zufriedenheit.» Ein religiöser Lebensstil reduziere die Sterblichkeit, wirke wie ein Jungbrunnen. Dazu präsentiert Studer ein Bild von Nonnen und zitiert eine Untersuchung, bei der man das Gehirn von Nonnen post mortem untersuchte und feststellte, dass diese kaum Anzeichen von Demenz aufwiesen. «Vergebung ist Neuroprotektion pur», so Studer weiter. Im Umkehrschluss sei Einsamkeit das Schlimmste für das Gehirn. «Wer sich verbunden fühlt, betreibt Prävention gegen Demenz.» Dieses Vertrauen, dass man nicht allein sei, von Gott getragen werde, wirke sich positiv aus. «Wenn wir glauben, dass Gott uns geschaffen hat, geben wir uns auch Mühe, gesund zu leben.» Sowohl Ernährung wie Schlaf hätten eine Wirkung auf unsere Stimmung. Groll, Alkohol und wenig Bewegung nennt sie als negative Einflüsse. Wer gemeinsam singe, synchronisiere seine Hirnwellen. «Ein Schaumbad für das Gehirn.»
Die so genannten quick rewards – zu Deutsch «schnelle Belohnungen» – machten hingegen nur kurzfristig glücklich. Aktivitäten wie Gamen ergäben einen kurzen Peak und müssten rasch wiederholt werden, weil man bereits nach der nächsten Belohnung strebe. «Wir brauchen langsames Dopamin, das anhält.» Studer berichtet erneut aus der Praxis. Sie habe neulich ihre Nachbarin angerufen, statt Emails zu beantworten. «Das hat Glücksgefühle ausgelöst.» Etwas Neues zu lernen sei anstrengend, bedeute aber für das Gehirn pures Glück. Detox vom Handy, beziehungsweise von einem hohen Medienkonsum, sei am Morgen wie am Abend empfehlenswert. Denn Aufmerksamkeit sollte nicht verschwendet werden.
Zum Schluss spielt Studer auf ihrer Geige. Denn alle Studien zeigen: Musik ist durch und durch positiv für die grauen Zellen.
Text: Helen Lagger
Bild: Matthias Hunziker