Suizidalität bei Kindern – erkennen, verstehen und handeln

Im Rahmen der Veranstaltung «Lunch am Puls» sprach der Psychotherapeut Armon Simonett über Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen  und wie man Symptome erkennt und richtig handelt.

Der selbständige Psychotherapeut Armon Simonett kennt sich mit Depressionen bei Kindern und Jugendlichen aus. Er engagiert sich seit vielen Jahren beim Berner Bündnis gegen Depression. Die Ziele dieser Organisation umreisst er gleich zu Beginn seines Vortrages «Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen», den er im Rahmen der Veranstaltung «Lunch am Puls» hält. Es geht um Prävention via Früherkennung und Frühintervention. «Viele Brücken in Bern sind heute dank dem Berner Bündnis gegen Depression gesichert», so Simonett.

Der Psychotherapeut liefert als erstes Zahlen und Fakten. Die Jugend gilt als Hochphase von Angststörungen, sozialen Phobien und Trennungsängsten. Suizid ist die häufigste Todesursache bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In den letzten zwei Wochen hatten bei entsprechenden Umfragen erschreckende 19,3 % der Mädchen Suizidgedanken und 11,8 % der Buben. «Jede 20. Frau macht irgendwann in ihrem Leben einen Versuch sich das Leben zu nehmen», so Simonett über den Gender-Gap.

Lange Wartefristen

Doch es gibt auch Positives zu berichten. Die Prävention greift. «Grundsätzlich nimmt die Suizidrate in der Schweiz ab», so Simonett. Weiterhin ein Problem sei die schlechte Verfügbarkeit von Angeboten und die langen Wartefristen. Auch das weiterhin bestehende Stigma von psychischen Erkrankungen wirke erschwerend. «Eltern wissen nur bei einem Viertel aller Selbstverletzungen Bescheid.» Die Depression äussere sich bei Kindern und Jugendlichen durch eine «depressive Brille», so Simonett. Sie glaubten Versager zu sein und hätten eine negative Sicht der Umwelt. Oft komme die Vorstellung dazu, dass sie nie mehr gesund werden würden.

Bei jüngeren Schulkindern zwischen 6-12 Jahren lasse sich die Depression häufig an einem veränderten Ess- oder Spielverhalten erkennen. Diffuse Kopf- und Bauchschmerzen seien ebenfalls ein häufiges Signal. «Bei Jugendlichen gleichen sich die Symptome – Ängste, Lustlosigkeit, Stimmungsschwankungen – jenen von Erwachsenen an», so Simonett. Selbstverletzendes Verhalten müsse nicht zwangsläufig suizidal sein. Es wird unter anderem als Affektregulierung benutzt «um schlechte Gefühle zu beenden.» Manchmal auch als «Anti-Suzid», «damit ich mich nicht umbringen muss.» Leider sei die Erleichterung nur kurzfristig, Schuld und Scham überwiegten langfristig.

Trügerische Ruhe

Simonett sprich von verschiedenen Stadien, die Selbstmordgefährdete durchlaufen: Das Spektrum reicht vom Erwägungsstadium zum Ambivalenz-Stadium und endet schliesslich mit dem Entschluss-Stadium. Oft wirke es so, als ginge es den Betroffenen im Entschluss-Stadion plötzlich besser. Simonett spricht von einer «trügerischen Ruhe.»

Wie kann man als Aussenstehende Signale wahrnehmen? Warnsignale könnten etwa eine intensive Beschäftigung mit dem Thema Tod sein. Auch indirekte Aussagen wie «meine Familie wäre ohne mich besser dran», seien alarmierend. «80 % aller Suizide werden angekündigt», so Simonett. Wichtig sei es bei einem Verdacht, die betroffene Person allein oder in privater Umgebung anzusprechen. Anhand von Ich-Botschaften sollten eigene Beobachtungen ausgesprochen werden. «Vorwürfe und Schuldzuweisungen sind hingegen zu vermeiden», so Simonett. «Wer fragt, macht nichts falsch.»

Auch Deals seien eine Möglichkeit. «Versprichst du mir, dass du solange am Leben bleibst, bis wir Hilfe für dich gefunden haben», könnte etwa eine Abmachung lauten. Vorschnelle Tröstungen und Verallgemeinerungen seien hingegen kontraproduktiv. «Was wenn mich der oder die Betroffene anlügt?», fragt jemand im Publikum. Es gelte auf Körpersprache und Blicke zu achten. Aber: «Wir können nicht alle Suizide verhindern», so Simonett abschliessend. 

 

Text: Helen Lagger
Bild: Esther Romo

Weitere Informationen

Berner Bündnis gegen Depression
Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen (PDF, Präsentation des Referenten zum Herunterladen)

Hilfreiche Adressen und Links
(aus der Präsentation S. 46)

Notfallzentrum KJP UPD Bern: 031 932 88 44
Ambulatorium KJP Biel: 032 328 66 99

Pro Juventute Beratung und Hilfe 
Berner Gesundheit
Erziehungsberatung Regionalstellen
Tschau
feel-ok.ch
Fachgruppe Suizidprävention Kanton Bern
EnsaSwiss
Reden kann retten 

Lunch am Puls