Nicht für, sondern mit den Menschen

«Gemeinsam Sorge tragen – Sozialdiakonie konkret». Angeregte Diskussionen und die Suche nach den eigenen Möglichkeiten prägten die diesjährige Sozialdiakonie-Konferenz, in deren Mittelpunkt die Sorgende Gemeinschaft stand.

Kirche sei wie der menschliche Körper, zusammengesetzt aus verschiedenen Teilen, und die einzelnen Glieder müssten füreinander besorgt sein, zitierte Synodalratspräsidentin Judith Pörksen Roder bei ihrer Begrüssung den Apostel Paulus (1. Kor. 12-30).

Ursula Marti, Grossrätin und seit September 2021 für die Diakonie zuständige Synodalrätin, umriss einleitend das aktuelle sozialpolitische Umfeld, in welchem sich die Sozialdiakonie bewegt. Sie isolierte drei Hotspots: Armut, Gesundheit und Asylwesen. Das seien nicht nur sozialdiakonische Arbeitsfelder, sondern auch jene der Politik. Aber anders als in der Sozialdiakonie klafften die Meinungen und Lösungsansätze in der Politik weit auseinander. Politisch sei es schwierig, genügend Unterstützung zu finden, erklärte sie, denn es gehe um Steuergelder. Armutsgefährdete Kinder müssten gefördert, Kranke und Alte im Alltag entlastet, Geflüchtete unterstützt werden. Der Beitrag der Sozialdiakonie sei hier unverzichtbar.

Fragen und Perspektiven

Marti und Pörksen Roder beantworteten – wie jedes Jahr – die beim Synodalrat eingegangenen Fragen zu verschiedenen Themen. Angesprochen auf kommende Herausforderungen und das Imageproblem der Kirche, zeigte die Synodalratspräsidentin vier Lösungsansätze auf: Arbeiten mit den jüngeren Generationen um Kirche im Alltag erlebbar zu machen; verbesserte Öffentlichkeitsarbeit, dabei auch neue Wege gehen; Innovative Projekte, sich vernetzen mit anderen Playern; Lebendige Gemeinschaft statt Amtskirche sein, ermöglichen und unterstützen, nicht nur die eigenen Projekte.

Die Arbeit des sdv

Stephan Loosli gab in seiner Begrüssung im Namen des sozialdiakonischen Vereins sdv, einen Einblick über die aktuellen Tätigkeiten und Themen des Vereins. So warf er die Frage auf, wer denn die sozialdiakonisch Arbeitenden begleite, vor allem dann, wenn sie neu sind in einer Kirchgemeinde. Weiterbildung ist ein zentrales Anliegen des Vereins. Hier müsse an der Basis eruiert werden, was, wo und wer weitergebildet werden müsse.

Fachstelle für Gesellschaft

Braucht die politische Gemeinde eine Fachstelle für gesellschaftliche Themen wie Alter, Kulturen, Generationen? Die Gemeinde Steffisburg hat vor 10 Monaten eine solche mit 80 Stellenprozent vorerst für 2 Jahre in Betrieb genommen. Die Fachstellenleiterin Barbara Jaeggi berichtete über ihre Erfahrungen.  Es sei absolut hilfreich, wenn alle Information bei einer Person zusammenkämen und von dort aus professionell koordiniert und vernetzt werden könne, sagte Jaeggi. Der Vorteil gegenüber der Kirche: die politische Gemeinde wird als neutral und offiziell wahrgenommen, die Menschen sind besser erreichbar und eher zur Zusammenarbeit bereit. Sie arbeite mit diversen Organisationen zusammen, sagte Jaeggi, sowohl mit Vereinen, Kantonalkirchen als auch mit Freikirchen. Sie nimmt aktuelle Themen auf, plant, begleitet und unterstützt. Offizielle Hilfe zur Selbsthilfe.

Neues Bewusstsein

Das sei die diakonische Idee, die einfach von anderer Seite komme, kommentierte Andrea Luyten, Sozialarbeiterin in Belp, im öffentlichen Gespräch mit Jaeggi. Wenn die Gemeinde dahinter stehe, könne Diakonie ganz anders auf die Leute zugehen, bekomme einen offiziellen Charakter. Und Stephan Loosli, Sozialdiakon in der Kirchgemeinde Grosshöchstetten, berichtete, dass Grosshöchstetten eine 20%-Altersbeauftragte habe. Er unterstützt, dass die politische Gemeinde die Verantwortung übernimmt. Diakonie kommt so neu ins Bewusstsein der Leute.

Statements aus dem Gespräch

Immer klein anfangen – Bestehendes stützen und in die Veranstaltungsagenda aufnehmen – Sorgende Gemeinschaften entstehen da, wo man sie zulässt – Raum geben und ermöglichen – Präsenz ist elementar, einfach da sein, weg vom Aktivismus – wir müssen nicht lieb sein, sondern aufmerksam – Wertschätzung führt zu Wertschöpfung – Sorgende Gemeinschaften dürfen auch zum Selbstläufer werden.

Blick in die Zukunft …

Stephan Loosli möchte in der Altersarbeit 80+ von 60+ trennen, da die beiden Alterssegmente völlig andere Bedürfnisse haben. Er möchte dem bestehenden Besuchsdienst eine Form geben, die über das Besuchen hinausgeht und mehr ein «Zeit schenken» ist.

Andrea Luyten möchte in Zusammenarbeit mit der politischen Gemeinde neue Strukturen schaffen. Sie wünscht sich eine «Sorgende Gemeinde Belp», die niederschwellig und lustvoll funktioniert.

… und die Vergangenheit

Aufgeteilt in Gruppen beschäftigten sich die zahlreichen Teilnehmenden mit jenen Dingen, die in ihren Kirchgemeinden gelungen sind, und dem, was zum Erfolg beigetragen hat. Sie erstellten gleichzeitig eine Liste mit den Stolpersteinen, die sie erlebt haben, und mit den Lösungsansätzen, mit denen sie überwunden werden können.

Die Resultate der Gruppenarbeiten

Ressourcen sind vorhanden

Simon Hofstetter, Theologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Dozentur für Diakoniewissenschaft der Universität Bern, fasste in seinem Schlussreferat zusammen, was Sorgende Gemeinschaften auszeichnet: Sie kommen nicht von der Kirche, sie entstehen draussen bei den Menschen. Die Diakonie kann hier Geburtshelferin sein. Und damit eine Sorgende Gemeinschaft selbstbestimmend wachsen kann, braucht es am Anfang eine Leitung. Auch das kann Diakonie leisten.

Sorgende Gemeinschaft passt zu Kirche, sagte Hofstetter. Und die Kirche hat riesiges Potenzial, nicht nur an personellen Ressourcen, sondern auch an Räumlichkeiten und Netzwerken. Zudem habe die Kirche bereits passende Arbeitsfelder, die sich zu Sorgenden Gemeinschaften ausbauen liessen. Einfach anfangen, klein, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Zusammen mit den Menschen, nicht für die Menschen.

Die Konferenz wurde musikalisch mitgestaltet von Daniel Durrer, Saxophon

 

Text: Susanne Thomann
Fotos: Tom Kaffka

«Wir müssen wegkommen von einer Angebotskirche, wir müssen hinausgehen in die Gesellschaft und dort ein Beziehungsnetz aufbauen.»

Simon Hofstetter


Gruppenarbeiten

Resultate und Fotoprotokolle

Weitere Informationen

Sorgende Gemeinschaft auf diakonierefbejuso.ch

Sorgende Gemeinschaften auf Diakonie Schweiz

Sozialdiakonischer Verein sdv

Referat Simon Hofstetter (PDF zum Herunterladen)

Literatur zum Thema

Hofstetter Simon (Hg.): Gemeinsam Sorge tragen, Das Potenzial der Diakonie für Sorgende Gemeinschaften. Theologischer Verlag Zürich, 2021

Impressionen